Schmerzfreie Geburt

Ein ehrlicher Blick auf Erwartungen und Realität

9/4/20253 min read

Neulich saß ich mit einer guten Freundin beim Kaffee und wir kamen ins Gespräch über das Gebären. "Aber schau doch mal ins Tierreich", sagte sie nachdenklich, "die Tiere scheinen ja auch Schmerzen zu haben, wenn sie gebären. Meine Katze zog sich zurück, wirkte gestresst und hat sogar geschrien." Diese Beobachtung brachte mich zum Nachdenken über ein Thema, das viele werdende Mütter beschäftigt: die Vorstellung einer völlig schmerzfreien Geburt.

Wenn Erwartungen auf Realität treffen

Marie Mongan, die Gründerin des Hypnobirthing, war fest davon überzeugt, dass nur die Angst uns im Wege einer schmerzfreien Geburt stehen würde. Eine schöne Vorstellung - und ich glaube auch den Frauen, die von schmerzfreien Geburten berichten, voll und ganz. Doch in meinen über 200 begleiteten Geburten habe ich eine andere Realität erlebt.

Ich durfte Frauen in tiefster Entspannung erleben, wie in einer Art Trance, die ganz leise ihre Kinder geboren haben. Andere waren voller Kraft und haben gekämpft und gebrüllt Löwinnen. Manche hatten Hypnobirthing-Kurse besucht, und einigen half es ungemein. Doch keine von ihnen sagte mir im Nachhinein, die Geburt sei völlig schmerzfrei gewesen.

Wenn die Vorbereitung zur Belastung wird

Besonders schwierig wurde es für Frauen, die wie erstarrt waren, als die Geburt trotz aller Hypnose- und Atemtechniken doch schmerzhaft verlief. Ihnen war anscheinend das Versprechen gemacht worden, dass bei korrekter Anwendung eine schmerzfreie Geburt garantiert sei. Sie dachten, sie hätten versagt oder etwas falsch gemacht. Solche Überzeugungen während der Geburt zu korrigieren und die Frau wieder zu stärken, ist eine große Herausforderung.

Die Physiologie verstehen und respektieren

Als Hebamme kenne ich die Abläufe einer Geburt genau: Der Muttermund, der neun Monate lang keinen anderen Job hatte, als geschlossen zu bleiben und nichts durchzulassen, soll sich innerhalb weniger Stunden vollständig öffnen. Der kindliche Kopf drückt von oben, während sich der Geburtskanal maximal dehnt. Die Haltebänder der Gebärmutter werden stark beansprucht. Das sind kraftvolle, intensive Prozesse, die aufgrund der physiologischen Gegebenheiten natürlicherweise mit körperlichen Empfindungen verbunden sind.

Schmerz als natürlicher Begleiter

Doch diese Intensität bringt auch etwas Wertvolles mit sich. Durch die Schmerzen werden wichtige Hormone wie Endorphine und Oxytocin freigesetzt, die uns in einen entspannten, fokussierten Zustand versetzen. Sie helfen uns, im Hier und Jetzt zu bleiben und uns ganz dem Geburtsprozess hinzugeben. Gleichzeitig motivieren sie uns, Schutz und Sicherheit zu suchen - ein evolutionär sinnvoller Mechanismus, damit unsere Kinder in einer geschützten Umgebung zur Welt kommen. Desswegen ist es so wichtig den Geburtsort und das Geburtsteam bewusst auszuwählen, denn falls dieser Schutz und das Gefühl von Sicherheit nicht gegeben ist, verlieren wir auch unsere Helferhormone, Endorphin und Oxytocin.

Jede Geburt ist einzigartig

Wie intensiv jede Frau die Geburt empfindet, ist höchst individuell. Was wissenschaftlich belegt ist: Angst und Stress senken die Schmerztoleranz und können die Schmerzen verstärken. Bei Angst verkrampft sich der Körper unbewusst, was zu mehr Anspannung führt, was wiederum intensivere Schmerzen zur Folge hat, was wieder mehr Angst auslöst - ein Teufelskreis.

Der Schlüssel liegt in der Vorbereitung

Deshalb tust du dir den größten Gefallen, wenn du dich schon vor der Geburt mit deinen Ängsten auseinandersetzt und Vertrauen in deinen Körper und den natürlichen Prozess entwickelst. Die Wahl des Geburtsortes und der Betreuung spielt dabei eine entscheidende Rolle - und das kannst du bereits in der Schwangerschaft organisieren und vorbereiten.

Vertrauen statt Versprechungen

Anstatt unrealistische Erwartungen zu schüren, sollten wir Frauen dabei unterstützen, Vertrauen in ihre eigene Stärke zu finden. Nicht die Abwesenheit von Schmerzen macht eine schöne Geburt aus, sondern das Vertrauen in den eigenen Körper und die Fähigkeit, sich dem natürlichen Prozess hinzugeben.

In meinem Geburtsvorbereitungskurs lernst du, wie du Ängste loslassen und ins Vertrauen kommen kannst. Den passenden Geburtsort zu finden ist ein innerer Prozess - manche wissen es sofort, andere müssen sich erst darauf einlassen. Doch mit der richtigen Vorbereitung kannst du gestärkt und selbstbewusst in deine Geburt gehen.

Denn am Ende geht es nicht darum, ob eine Geburt schmerzfrei ist oder nicht - sondern darum, dass du dich sicher, unterstützt und in deiner Kraft fühlst, wenn du dein Kind empfängst.